DIN 19712
Hochwasserschutzanlagen an Fließgewässern
Flood protection works on rivers
Einführungsbeitrag
Mit dem Ziel der Schaffung einheitlicher Grundlagen und Prinzipien für Neubau, Sanierung, Unterhaltung, Überwachung und Verteidigung von Hochwasserschutzanlagen an Fließgewässern wurde der für die Vorgängernorm zuständige Arbeitsausschuss NA 119-02-08 AA "Flussdeiche" reaktiviert. Die Zusammensetzung des Arbeitsausschusses erfolgte interdisziplinär unter Berücksichtigung flussgebietsspezifischer Bedingungen und örtlich unterschiedlicher praktischer Erfahrungen sowie des vorhandenen Fachwissens aus ganz Deutschland. Die großen Hochwasserschadensereignisse der vergangenen Jahre, zum Beispiel 1997 an der Oder, 2002 an der Elbe und 2005 in Süddeutschland, haben die Notwendigkeit eines ausreichenden technischen Hochwasserschutzes erneut vor Augen geführt. Andererseits sind auch die Sicherheitsbedürfnisse und die Hochwasserabflüsse angestiegen. Heute bereits absehbare Veränderungen des Wasserkreislaufes sollten künftig in eine ganzheitliche Betrachtung einbezogen werden. Die Schutzmaßnahmen werden dabei immer differenzierter und vielfältiger: Neben Deichen, den traditionellen Hochwasserschutzanlagen entlang von Fließgewässern, wurden insbesondere in Ortsbereichen Hochwasserschutzwände und in jüngster Zeit auch planmäßige mobile Hochwasserschutzelemente errichtet. Insgesamt entwickelt sich, gemeinsam mit Rückhalteräumen in Form von gesteuerten und ungesteuerten Flutungspoldern, ein umfassendes System von Hochwasserschutzanlagen in den Abflussflächen der Gewässer. Seit der erstmaligen Veröffentlichung einer Norm für Flussdeiche im Jahr 1997 lag es nunmehr nahe, den Inhalt dieser Norm auf einen Aktualisierungsbedarf hin zu überprüfen. Mit Abschluss der Überarbeitung der DIN 1054 sind grundlegende Vorgaben eingeführt worden, die sich auch in der vorliegenden Norm widerspiegeln müssen, weshalb eine Überarbeitung der DIN 19712 als dringlich angesehen wurde. Im Fachausschuss "Talsperren und Flusssperren" der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) wurde das Merkblatt DVWK 210 (1986) "Flussdeiche" grundlegend überarbeitet und wurde im Dezember 2011 unter dem Titel "Deiche an Fließgewässern - Teil 1: Planung, Bau und Betrieb" als DWA-M 507-1 neu herausgegeben. Diese Überarbeitung wurde in der vorliegenden Norm in gleicher Weise wie das im Dezember 2005 vom Bund der Ingenieure für Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Kulturbau (BWK) e. V. herausgegebene Merkblatt 6 "Mobile Hochwasserschutzsysteme" berücksichtigt. Im Hinblick auf eine wünschenswerte Vereinheitlichung der Sicherheitsstandards innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes wurde während der Normungsarbeiten der Stand der Regelungen zum Hochwasserschutz in Europa und darüber hinaus zusammengetragen und berücksichtigt. Die bisherige Beschränkung auf Flussdeiche wurde dabei zugunsten einer Betrachtung des Hochwasserschutzes auch auf Hochwasserschutzwände und den planmäßigen mobilen Hochwasserschutz ausgeweitet. Diese Überarbeitung stellt den aktuellen Stand der Technik auf dem Gebiet des Hochwasserschutzes unter fortgesetzter Berücksichtigung landschaftspflegerischer und ökologischer Gesichtspunkte dar. Die Norm gilt für den Neubau, die Sanierung, Unterhaltung, Überwachung und Verteidigung von Hochwasserschutzanlagen an Fließgewässern, die als linienförmige Schutzbauwerke entlang der Gewässer (auch Flutungspolder begrenzende Schutzanlagen) zu verstehen sind. Die Norm legt unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse und praktischer Erfahrungen Anforderungen an die technische Schutzanlage selbst, das Vor- und Hinterland sowie den Untergrund fest. Die in dieser Norm benutzte Terminologie steht im Einklang mit derjenigen in diesem speziellen Fachbereich und ist konsistent mit der in anderen Verbänden und betroffenen Kreisen abgestimmten Begriffswelt. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass entsprechend der Instandhaltungsphilosophie die Begriffe "Sanierung", "Unterhaltung" und "Überwachung" als Einzeltätigkeiten dem Sinn nach dem Begriff "Instandhaltung", so wie er in DIN 31051 ausgewiesen ist, untergeordnet sind. Diese Sichtweise wurde vom Arbeitsausschuss nur partiell geteilt. Der Arbeitsausschuss sah sich deshalb nicht veranlasst, aus dem Grund einer vollständigen Entsprechung der DIN 31051 in der gesamten Norm die bislang in den für den Hochwasserschutz tätigen Fachkreisen etablierte Begriffswelt dahingehend umzustellen. Da die Norm an Fachleute (siehe Einleitung) gerichtet ist, stellt diese Sichtweise des Arbeitsausschusses kein Hindernis dafür dar, Hochwasseranlagen im funktionstüchtigen Zustand zu halten und im Falle von Störungen die notwendigen Maßnahmen zur Wiederherstellung dieser Funktionstüchtigkeit (unter anderem Inspektion, Wartung, Instandsetzung) zu ergreifen. Im Einzelnen wird auf wasserwirtschaftliche und ökologische Aspekte eingegangen, bevor Ausführungen zu Planungsgrundsätzen und hydrologischen und hydraulischen Bemessungsgrundlagen folgen. Daran schließen sich detaillierte Anforderungen an Deiche, Hochwasserschutzwände und mobile Hochwasserschutzsysteme an. Geotechnische und geohydraulische Untersuchungen sind für die Definition von Einwirkungen, Beanspruchungen und Bemessungssituationen für die Nachweise der Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Erosionssicherheit notwendig. Eher praxisorientierter Natur sind die Festlegungen zu Baustoffen. Baudurchführung und Qualitätssicherung. In den meisten Fällen sind bauliche Fremdanlagen im Bereich der Hochwasserschutzanlagen, unter anderem Wasserbauwerke, Scharten und Überfahrten, Gebäude, Mauern, Brücken, Leitungen, Brunnen, Abgrabungen, nicht zu umgehen. Zur Sicherstellung eines ausreichenden Hochwasserschutzes werden Festlegungen sowohl zu Baumaßnahmen an bestehenden Hochwasserschutzanlagen als auch zu Betrieb, Unterhaltung und Maßnahmen im Hochwasserfall getroffen. Sämtliche in dieser Norm enthaltenen Grundsätze, auch zur erforderlichen Qualitätssicherung bei jedem Schritt der Planung und des Baus von Hochwasserschutzanlagen, sind entsprechend der Differenziertheit der örtlichen Gegebenheiten (Standort, Untergrund, Besonderheiten) und dem im Allgemeinen großen Schadenspotenzial in den zu schützenden Polderräumen anzupassen oder zu ergänzen. Bei einem Einstau ist der Wasserstand vor der Hochwasserschutzanlage im Allgemeinen höher als die Geländehöhe am landseitigen Fuß der Anlage im Hinterland. Eine Besonderheit stellen Hochwasserschutzanlagen in Bergsenkungsgebieten oder bei anderen topographischen und geologischen Gegebenheiten dar, wenn eine Schutzanlage (zum Beispiel wegen eingetretener Bergsenkungen) bereits bei Mittelwasser zeitweilig oder ständig eingestaut ist. Hierfür gelten die Angaben dieser Norm und, soweit zutreffend, DIN 19700-13. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Norm nicht für Dämme von Stauanlagen nach Reihe DIN 19700, Seedeiche und Flussdeiche in Tidegebieten und ausschließlich strömungs- und geschiebelenkende Leitbauwerke an und in Gewässern sowie notfallmäßige mobile Hochwasserschutzsysteme im Sinne von technischen Hilfsmitteln für den Katastrophenschutz gilt. Ebenso nicht Gegenstand dieser Norm sind Festlegungen zu den geforderten Tragfähigkeitsnachweisen, die in den entsprechenden bau- und geotechnischen Normen enthalten sind. Die Bearbeitung dieses Projektes wird aus Mitteln des Länderfinanzierungsprogrammes "Wasser, Boden und Abfall" gefördert.
Änderungsvermerk
Gegenüber DIN 19712:1997-11 wurden folgende Änderungen vorgenommen: a) Änderung des Titels; b) Einarbeitung DIN EN 1997-1, NAD und DIN 1054; c) Berücksichtigung der Reihe DIN 19700; d) erstmalige Berücksichtigung von Hochwasserschutzwänden; e) erstmalige Berücksichtigung von planmäßigen mobilen Hochwasserschutzeinrichtungen.