Faserverstärkte Kunststoffe
DIN SPEC 4885: Dieser Standard schreibt Erfolgsgeschichte
Wer in den Berliner Stadtteil Zehlendorf kommt, erwartet hier nicht unbedingt ein Technologie-Zentrum. Der Südwesten Berlins ist eher als Villenviertel bekannt, bietet aber auch jungen, aufstrebenden Unternehmen die notwendigen Räume und Fertigungshallen. So auch für die Grasse Zur Ingenieurgesellschaft mbh. Die beiden Geschäftsführer Dr. Fabian Grasse und Dr. Malte Zur kennen sich von ihrer gemeinsamen Tätigkeit bei der Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung (BAM), die auch in Zehlendorf ansässig ist. „Wir wollten uns immer selbstständig machen“, erklärt Malte Zur. „Irgendwann haben wir dann gesagt: warum nicht mit dem, womit wir uns am besten auskennen.“ Im Dezember 2011 fiel der Startschuss für das neue Unternehmen. „Der Vorteil war“, so Malte Zur, „dass wir von Anfang an Umsatz gemacht haben. Das erleichtert den Start im Vergleich zum Beispiel zu IT-Start-ups, die erst einige Zeit kostenintensiv entwickeln müssen, um dann auf Kunden zugehen zu können.“ Der erste Kunde war BASF.
Aus ihrer Tätigkeit bei der BAM wussten die beiden Ingenieure, dass es bei den bekannten Prüfverfahren vor allem für faserverstärkte Kunststoffe (FVK) Verbesserungsbedarf gab. Die Materialkennwerte sollten höher sein, die Streuungen der bisherigen Verfahren waren zu hoch. Das war der Anlass für Fabian Grasse und Malte Zur, ein innovatives Schubprüfsystem weiterzuentwickeln, welches auf einem Verfahren basiert, das im Rahmen einer Dissertation an der BAM entstanden ist. Dabei werden die Werkstoffproben in einen Rahmen gespannt, der durch eine parallelogrammartige Bewegung eine Schubbeanspruchung imProbekörper erzeugt. Der Vorteil: Die Streuungen in den Prüfergebnissen sind relativ klein, und das Verfahren ist auch für große Schubdehnungen anwendbar, was mit bisherigen Verfahren nicht möglich ist Das neue Verfahren sorgte für Aufmerksamkeit im Markt, so dass der Industrieverbund Carbon Composites e. V. (CCeV) Mitte 2013 beschloss, die Initiierung einer DIN SPEC von Grasse Zur zu unterstützen und sich an dem Projekt zu beteiligen. DIN übernahm die Partnerakquise, so dass in der Projektdurchführung bereits potentielle Kunden wie BMW oder BASF ihre Anforderungen an die DIN SPEC einbringen konnten. BMW setzt beispielsweise carbonfaserverstärkte Kunststoffe bei der Fertigung der Fahrgastzellen des BMW i3 und des BMW i8 ein.
Bereits sechs Monate später – im Januar 2014 - konnte die DIN SPEC 4885 mit dem Titel „Faserverstärkte Kunststoffe – Schubversuch mittels Schubrahmen zur Ermittlung der Schubspannungs-/Schubverformungskurve und des Schubmoduls in der Lagenebene“ veröffentlicht werden. „Die DIN SPEC erleichtert für uns ganz maßgeblich die Gespräche mit unseren Kunden“, erklärt Fabian Grasse, „es ist eine viel höhere Akzeptanz für das Prüfverfahren da als vorher. Für unser junges Unternehmen hat sie einen unschätzbaren Nutzen“. Zu den Kunden gehören heute Auftraggeber aus den Bereichen Forschung und Entwicklung, Automobilbau und Windkraftanlagen, in denen auch faserverstärkte Materialien eingesetzt werden. Darüber hinaus steht die schweizerische SGS-Gruppe, das weltweit führende Unternehmen in den Bereichen Prüfen, Testen, und Zertifizieren auf der Kundenliste. In Kürze wird sogar die DNV GL Group, die bei der Inbetriebnahme von Windkraftanlagen für die Zertifizierung zuständig ist, die DIN SPEC 4885 als relevantes Prüfverfahren anwenden.
Die Zeichen stehen auf Expansion: Die Kunden der ersten Stunde sind immer noch an Bord, künftig sollen auch Schulungen angeboten werden. Zum einen, um das vorhandene Wissen weiterzugeben, zum anderen als ein weiteres Instrument der Kundenakquise. Die Ausweitung der Tätigkeiten auf das Prüfen von Trennmitteln und der entsprechenden Prüfeinrichtungen ist bereits im fortgeschrittenen Stadium. Da es für diesen Bereich bislang keine Standards gibt, ist auch die nächste DIN SPEC bereits in der Vorbereitung.