Die Technische Hochschule Lübeck, Fachbereich Angewandte Naturwissenschaften
Interview mit Prof. Dr. sc. hum. Folker Spitzenberger, Regulatory Affairs für Medizinprodukte
Weil Normen auf Wissen basieren und neues Wissen hervorbringen: Die TH Lübeck baut dem
akademischen Nachwuchs durch Normungsarbeit eine sichere Brücke in die Industrie.
„Bei DIN begeistert mich die internationale Zusammenarbeit und das gelebte Konsensprinzip – in den
Gremien und Fachausschüssen wird jede Meinung gehört und ernst genommen.“
Das Interview
Warum und seit wann engagieren Sie sich in der Normung?
Bereits 2003 bin ich in die Normung eingestiegen. Damals war ich in der ZLG, Zentralstelle der
Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten, als
wissenschaftlicher Mitarbeiter und Gutachter tätig. Durch das Thema Konformitätsbewertung
von Medizinprodukten, mit dem wir uns in der Behörde intensiv beschäftigen, bin ich zum DIN
gekommen. Mich hat zunächst sehr interessiert, warum und welche Anforderungen Normen
für medizinische Laboratorien beinhalten.
In welchen Normungsgremien sind Sie vertreten?
Ich bin in den Normenausschüssen ISO/TC 212 und TC 210 aktiv. Seit 2008 habe ich für ISO/
TC 212 im deutschen Spiegelgremium bei DIN die Position des Obmanns inne. Außerdem
engagiere ich mich im europäischen Spiegelgremium CEN TC 140.#
Welche Normungsthemen sind in der Corona-Krise für Sie in den Vordergrund gerückt?
Da wir uns ohnehin ständig mit Medizinprodukten einschließlich In-vitro-Diagnostika
beschäftigen, gibt es durch Corona keine größeren Besonderheiten. Allerdings sind die
Medizinprodukte, die für den Nachweis von SARS-COV-2 bzw. zur Behandlung von COVID-19
verwendet werden, doch stärker berücksichtigt worden.
Wie hat die Corona-Pandemie Ihre persönliche Gremienarbeit beeinflusst?
Offen gesagt: Nur online ist blöd – viele Arbeitsgruppen und Plenary Sessions wurden
teilweise virtuell durchgeführt oder ganz abgesagt. Dadurch fehlen das persönliche Gespräch
und das Networking. Aber grundsätzlich arbeitet die TH Lübeck natürlich viel mit Online-
Medien, sodass man in gewisser Weise daran gewöhnt ist.
Was ist Ihnen bei der Normungsarbeit besonders wichtig?
Bei DIN entwickeln wir sämtliche Ergebnisse im Konsens, und zwar oft auf internationaler
Ebene. Das heißt, dass die verschiedenen Meinungen aller Interessenvertreter und Nationen
mit einfließen – einzelne Stimmen können den Normungsprozess nicht dominieren.
Konnten Sie schon Normen auf den Weg bringen?
Ich war an der Erstellung etlicher nationaler und internationaler Normen beteiligt und habe
dabei mit anderen KollegInnen die deutsche Position vertreten. Aktuell leite ich ein neues
Projekt zum Thema „Laboratory Developed Tests (LDT)“. Wir sind ein kleines, internationales
Team und befassen uns mit In-vitro-Diagnostika aus Eigenherstellung. Als aktuelles Beispiel
für IVD aus Eigenherstellung kann ich den ursprünglich von Herrn Dr. Drosten in der Charité
Berlin entwickelten Nachweis von SARS-CoV-2 nennen. Er hat das Verfahren entwickelt und
veröffentlicht, also jedem zugänglich gemacht. Zum Thema LDT wird sich in der Normung und
in Rechtsvorschriften noch einiges tun.
Welche Vorteile hat Ihre Hochschule dadurch am Markt?
Die akademische Forschung hat einen hohen Stellenwert, weil wir die Wissenschaftler*innen
und Praktiker*innen von morgen ausbilden. Durch unsere Normungsarbeit sind wir immer auf
dem Stand der Technik und wissen, was die Industrie braucht. Dafür pflegen wir auch einen
intensiven Austausch, sowohl mit der Industrie als auch mit den Behörden.
An welchen Netzwerkveranstaltungen nehmen Sie teil – was vermissen Sie bei DIN?
Im Zusammenhang mit DIN fällt mir vor allem die DAkkS, die Deutsche Akkreditierungsstelle,
ein. Dort habe ich an Veranstaltungen teilgenommen und auch referiert.
Welchen Tipp geben Sie Unternehmen, die in der Normung aktiv werden wollen?
In Europa müssen wir aufpassen, dass uns die anglo-amerikanischen Stakeholder nicht
dominieren. Deshalb brauchen wir Leute, die in der Normung Engagement zeigen und kräftig
mitmischen. EU-harmonisierte Normen sind wichtig für die europäische und die deutsche
Wirtschaft. Leider sehen wir aktuell im Bereich Medizinprodukte auch in Deutschland viele
Unternehmen, die nur von Normen profitieren, aber selbst nicht an deren Entwicklung bzw.
Aktualisierung mitarbeiten möchten. Das sollte sich dringend ändern.
Welche Zukunftsthemen kommen auf Ihre Branche zu? Wie können Normen dabei helfen?
Künstliche Intelligenz und Deep Learning sind Key-Themen. Beide müssen mit normativen
Anforderungen gefüllt werden. Gleiches gilt auch für personalisierte Medizinprodukte, wie z.
B. den 3 D-Druck von speziellen Implantaten, u.v.m.
Über Technische Hochschule Lübeck
Institution: Technische Hochschule Lübeck
Studiengang: Master of Science - Regulatory Affairs für Medizinprodukte
international tätig: Kooperation mit der WHO, World Health Organisation Genf, in gemeinsamen
Projekten zu Qualitätssicherung in der medizinischen Labordiagnostik, Gesetzgebung, Biosafety/
Biosecurity.