Aus der Normungspraxis: Die SCHOTT AG, Pharmaceutical Systems, Mainz

Interview mit Prof. Dr. Volker Rupertus, Senior Principal Expert Global Quality

Prof. Dr. Volker Rupertus, Senior Principal Expert Global Quality
© SCHOTT AG

Weil die pharmazeutische Industrie klare Lösungen für sterile Verpackungen braucht: SCHOTT
versorgt den Weltmarkt mit Spezialglas-Röhren und -Containern für Flüssigmedikamente.

„Für mich ist DIN als Zugangsportal in die internationale Normung ein sehr wertvoller Partner.“

Das Interview

Warum und seit wann engagieren Sie sich in der Normung?
Ich habe viele Jahre Berufserfahrung rund um das Thema Spezialglas, die dazugehörigen
Wechselwirkungen mit anderen Medien sowie die technologische Prozessierung von glasbasierten
Spezialprodukten. Dieser Wissenskomplex bietet mir eine ideale Grundlage für die
Mitarbeit in der Normung solcher technisch-wissenschaftlichen Sachverhalte. Von Haus aus
bin ich Physiker und seit 26 Jahren bei der Schott AG – früher in verschiedenen Managementpositionen
und heute als der führende Wissenschaftler im Geschäftsbereich Pharmaceutical
Systems. Seit 2015 wirke ich nun bei DIN mit und schätze DIN u.a. als Zugangsportal für
die internationalen ISO-Gremien .

In welchen Normungsgremien sind Sie vertreten?
Ich engagiere mich vor allem im ISO TC 76 in der Working Group 2 für pharmazeutische Primärverpackungen. Hier betreuen wir über 20 Normen. Im Bereich der Parenteralia Verpackungen
ist Schott Marktführer bei Glasröhren aus Borosilikatglas. Wir decken auch ungefähr ein
Drittel des Weltmarktes für die finalen Primärverpackungen von flüssigen Arzneimitteln ab.
Deshalb ist es für uns sehr wichtig, in der Normung aktiv und gestaltend tätig zu sein. Zudem
wurde ich auch in die Expertengruppe für pharmazeutische Glasverpackungen der europäischen
Arzneibuchkommission EDQM berufen.

Welche Normungsthemen sind in der Corona-Krise für Sie in den Vordergrund gerückt?
Die Covid-19 Pandemie hat keinen direkten Einfluss auf die Normung. Denn hier gilt es, langfristige
Themen zu Produkten und Prozessen vorausschauend und einvernehmlich mit den
Wettbewerbern und den Kunden zu lösen. Allerdings verzeichnen wir eine deutlich erhöhte
Nachfrage in unserem Geschäftsfeld . Die Menschheit hofft auf die kurzfristige Zulassung eines
Corona-Impfstoffes. Von den ungefähr 170 Impfstoff-Ansätzen, die aktuell weltweit in den
Entwicklungslaboren vieler Pharmafirmen verfolgt werden, erreichen vielleicht 10 oder 20 die
Marktreife. Die final zugelassenen Medikamente werden dann in Fertigspritzen oder Glascontainer
abgefüllt. Vorsorglich haben viele unserer großen Kunden erhebliche Mengen zusätzlich
für ihre Füll-Linien geordert. Unsere Produktion läuft daher unter voller Auslastung.

Wie hat die Corona-Pandemie Ihre persönliche Gremienarbeit beeinflusst?
Bei den Dienstreisen wurde ich buchstäblich von Hundert auf Null herunter gebremst. Alle internationalen
Präsenzaktivitäten wurden abgesagt. Normal waren für mich ungefähr 25 Reisen
pro Jahr, davon fünf bis sechs für die Normungsarbeit. Die Aktivitäten haben sich allerdings
nur verlagert: Statt physischer Präsenz wird jetzt, wie selbstverständlich, Online-Kommunikation
in hohem Maße akzeptiert. Wir arbeiten in den Gremien dadurch effizienter, haben
ein besseres Zeitmanagement, und den persönlichen Austausch vermisst im Moment kaum
jemand. Das ist natürlich eine Momentaufnahme; permanent wäre das sicher schwierig. Ich
schätze, dass in spätestens zwei Jahren persönliche Meetings wieder stattfinden werden.

Was ist Ihnen bei der Normungsarbeit besonders wichtig?
Die Diskussion mit anderen Experten, außerhalb des Wettbewerbs an einem gemeinsamen
Ziel arbeiten, das treibt mich an. Wir entwickeln Standards, die am Ende uns allen helfen. Statt
durch Einzellösungen unnötige Komplexität zu erzeugen, steigern wir die Effizienz von Produkten
durch die Vergleichbarkeit von Messprozeduren und Verfahren. Auf diese Weise entsteht
eine volkswirtschaftlich vorteilhafte Warenvielfalt, die auf einem einheitlichen Verständnis
komplexer Sachverhalte beruht.

Konnten Sie schon Normen auf den Weg bringen?
Zur Zeit arbeite ich an einer komplett neuen Norm mit, bei der es um Testverfahren für die
Spurenanlyse von Elementen geht. Wir konzentrieren uns hier auf das Element Wolfram, das
in Kontakt mit bestimmten Pharmawirkstoffen wie z.B. Proteinen einen schädlichen Einfluss
haben kann. Durch unsere Norm stellen wir sicher, dass die Primärpackmittel für solch kritische
Wirkstoffe überwacht werden können – damit die Patienten mit einem optimalen Produkt
versorgt werden.

Welche Vorteile hat Schott dadurch am Markt?
Durch die Spezifikation unserer Produkte, die auf Basis von Normen und anderen Regelwerken
definiert ist, sorgen wir bei unseren Kunden für ein besseres Erwartungsmanagement.
Und weil der Pharma-Bereich sehr streng behördlich überwacht ist , müssen wir Compliance
zu den jeweils gültigen Arzneimittelbüchern jederzeit nachweisbar sicherstellen. Die Anforderungen
sind hoch; es geht letztendlich um die Unversehrtheit jedes einzelnen Patienten – das
ist eine große Verantwortung!

An welchen Netzwerkveranstaltungen nehmen Sie teil – was vermissen Sie bei DIN?
Die allgemeinen Veranstaltungen des DIN liegen nicht in meinem Fokus. Ich beschränke mich
auf Veranstaltungen rund um das weltweite Pharmageschäft. Vor allem bei der „Parenteral
Drug Association“ oder den Expertengruppen der nationalen Gesundheitsbehörden bzw. der
Europäischen Union bin ich aktiv, dann bei DIN und ISO sowie in zahlreichen assoziierten
Netzwerken. Bei DIN nehme ich die Gremienarbeit themenbedingt als formalistisch wahr, was
durchaus eine Eintrittsbarriere für junge Leute darstellen kann.

Welchen Tipp geben Sie Unternehmen, die in der Normung aktiv werden wollen?
Es wäre ein Fehler, die Normungsarbeit als antiquiert anzusehen. Hier werden die Zukunftsthemen
der adressierten Märkte behandelt. Deshalb heißt es, frühzeitig einsteigen, wenn man
ein neues Produkt entwickelt oder einen neuen Markt anstrebt. In den Gremien kommen ja die
Experten zusammen, die bestens informiert sind und selbst an neuen Methoden und Verfahren
arbeiten. Es werden neue Normungsthemen diskutiert und vorbereitet. Das fehlende Wissen
um solche Themen kann sich durchaus negativ auf die eigene Entwicklungsarbeit bzw.
die Produkt-Pipeline auswirken, denn diese hat zukünftige Normen nicht berücksichtigt. Die
richtige Balance zwischen eigenem Patentschutz und öffentlicher Norm ist der Schlüssel zu
erfolgreichen Produkten.

Welche Zukunftsthemen kommen auf Ihre Branche zu? Wie können Normen dabei helfen?
Ein starker Umbruch vollzieht sich aktuell bei der Abfüll-Technologie für neuartige Medikamente.
Hier ist ein Trend zu personalisierter Anwendung zu erkennen. Die zugrunde liegenden
chemischen, biologischen / organischen Wirkstoffe sind individuell an die jeweiligen Patientengruppen
angepasst und werden daher in kleinen Mengen abgefüllt. Diese Ready-to-use-
Produkte werden mit ihren Ausmaßen und Formaten genormt. Statt viele Millionen identischer
Einheiten benötigt man nur noch Kleinstmengen von einigen hundert oder tausend
identischer Einheiten. Die großen Füll-Linien müssen hier flexiblen Lösungen ohne extremen
Umrüstungsaufwand Platz machen. Hier adressieren wir mit sogenannten Ready-to-use-Produkten
neuartige genormte Verpackungseinheiten für die Primärpackmittelcontainer. Diese
dienen als Basis für die nächste Generation der Abfülltechnologie. Die Maschinenhersteller
erhalten steril verpackte kleine Einheiten mit genesteten Containern, die dann flexibel für die
unterschiedlichsten Anwendungen standardisiert eingesetzt werden können.



Ihr Kontakt

DIN e. V.
Mitgliederservice

Tel: 030 2601-2020

Zum Kontaktformular  

Der SCHOTT Firmensitz in Mainz
© SCHOTT AG
Visuelle Inspektion von Pharmafläschchen
© SCHOTT AG
Medikamentenentnahme aus einem Pharmafläschchen mittels Einwegspritze
© SCHOTT AG

Über Schott AG

Die SCHOTT AG, Pharmaceutical Systems, Mainz Schließen

Unternehmensgröße: Produktions- und Vertriebsstandorte in 34 Ländern, davon 17 Werke für
pharmazeutische Verpackungssysteme
Branche: Spezialglas und Glaskeramik, Pharma-Verpackungen
Mitarbeiterzahl: 16.200 weltweit, davon 5.800 in Deutschland
Jahresumsatz: 2,2 Mrd. Euro
international tätig: Europa, Nordamerika, Asien und Pazifik, Südamerika, Mittlerer Osten und Afrika