Aus der Normungspraxis: Die cirplus GmbH, Hamburg

Interview mit Christian Schiller, Gründer & Geschäftsführer

Christian Schiller
© cirplus GmbH, Hamburg

Weil Rezyklate helfen, den Planeten vor der Plastikvermüllung zu schützen: cirplus bringt eine digitale Plattform für den Handel mit standardisierten Materialien an den Start.

„Ein Treibstoff für den Wandel zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Wirtschaft ist der Innovationsgeist, Unternehmen in der Normung bei DIN können damit die klügsten Köpfe für sich gewinnen.“

Christian Schiller

Das Interview

Warum und seit wann sind Sie in der Normung aktiv?
Beim Aufbau von cirplus stießen wir schnell auf das Problem fehlender Standards für hochwertiges Kunststoffrecycling; es fehlte an einer einheitlichen Beschreibung, was überhaupt als Rezyklat gelten dürfe. Mit der Idee, diese Lücken zu schließen, habe ich im Jahr 2019 den Ideenwettbewerb DIN-Connect gewonnen. Das war ein toller Erfolg für mein Geschäftsmodell, das Standardisierung mit Digitalisierung kombiniert. Seitdem bin ich mit cirplus fest in der Normung dabei.

In welchen Normungsgremien arbeiten Sie mit?
Ich arbeite seit Februar 2020 im Fachausschuss NA54-03-03 Kunststoffe in der Kreislaufwirtschaft mit. Daneben wurde ich auch in das europäische Spiegelgremium CEN TC 249/11 entsandt, als deutscher Experte. Der Zeitpunkt im Februar 2020 war ideal, weil sich der deutsche Fachausschuss eben erst konstituierte. Unsere DIN SPEC Projektmanagerin Stefanie Bierwith hat sich dort und auf europäischer Ebene für cirplus stark gemacht. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.

Welche Normungsthemen sind in der Corona-Krise für cirplus in den Vordergrund gerückt?
In Bezug auf die Kreislaufführung gab es keine unmittelbaren Veränderungen. ABER: Durch Corona hat sich beim Konsumverhalten der Menschen viel geändert, sie arbeiten mehr im Home-Office. Dadurch fallen deutlich mehr Haushaltsabfälle an, und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Dadurch verschärft sich das Problem, wie verantwortungslos wir heute mit Kunststoffabfällen umgehen, von denen noch immer viel zu viele in der Verbrennung, auf Deponien oder im Meer landen. Die Normung muss darauf reagieren, immerhin ist das große Ziel, dass keine Kunststoffabfälle mehr in die Umwelt gelangen dürfen.

Wie hat die Corona-Pandemie Ihre persönliche Gremienarbeit beeinflusst?
Mein erster und letzter analoger Kontakt mit den Experten im Fachausschuss fand 2020 statt. Seitdem treffen wir uns nur noch virtuell. Allerdings sind Videokonferenzen für uns bei cirplus kein Problem. Als IT-Unternehmen gehören die für uns zum täglichen Geschäft

Was ist Ihnen bei der Normungsarbeit besonders wichtig?
Da verweise ich gerne auf Prof. Endres vom Institut für Kunststoff- und Kreislaufwirtschaft an der Leibniz Universität Hannover. Er mahnt, sich nicht in „globo-galaktischen Diskussionen“ zu verlieren. Der sog. Mission Creep, also das stetige Ausweiten von Themen und Teilnehmern, bis am Ende viel geredet aber nichts erreicht wird, ist unbedingt zu vermeiden. DESHALB: Wir sollten uns komplexen Themen Stück für Stück nähern. Die Plastikkrise wird sich in den nächsten dreißig Jahren dramatisch verschärfen, es steht nämlich jetzt schon fest, dass die weltweite Produktionsmenge an Kunststoffen bis 2050 um den Faktor 3 anwächst; solange wir das „Plastikleck“ in unseren Weltmeeren nicht im Gleichschritt schließen, ist absehbar, dass die Müllmengen in der Umwelt ebenfalls dramatisch zunehmen werden. Deshalb sind in der Normung fokussierte Mitarbeiter nötig, die sich Scheindiskussionen verweigern und konstruktiv zur Lösung der Probleme beitragen.

Konnten Sie schon Normen auf den Weg bringen?
Zunächst einmal konnte ich den Standard DIN SPEC 91446 initiieren und in Zusammenarbeit mit 16 Teilnehmern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden mit hohem persönlichen Einsatz in über 1000 Stunden Arbeitszeit innerhalb eines Jahres verabschieden. Das war anstrengend, aber auch eine großartige Erfahrung, wie konstruktiv man trotz unterschiedlichster Hintergründe zusammenarbeiten kann. Die DIN SPEC hat eine Pionierfunktion und greift der Normungsarbeit in den offiziellen Fachgremien oft vor bzw. bereitet diese vor. Der größte Vorteil einer DIN SPEC ist die Geschwindigkeit, mit der man diese auf den Weg bringen kann. Aktuell geht es vor allem darum, die DIN SPEC in einen europäischen Standard zu überführen.

Welche Vorteile hat cirplus bzw. haben Ihre Produkte dadurch am Markt?
Vertrauen ist für cirplus harte Währung. Auf unserer digitalen Plattform für den Rezyklathandel einigen sich Verkäufer und Käufer vertrauensvoll darauf, dass jedes Material tatsächlich kann, was es verspricht. Rezyklate hatten bis dato in den meist offline stattfindenden Transaktionen einen schweren Stand. Zu oft schwankten Qualitäten und Produktionsmengen. Auf Grundlage der DIN SPEC 91446 steht dem Markt nun erstmals ein Standard zur Verfügung, mit dem eine gemeinsame Sprache im hochwertigen Kunststoffrecycling gesprochen werden kann. Und da es ein weltweites Problem ist, haben wir den gesamten Standard gleich auf Englisch erarbeitet und verbreiten ihn über unsere digitale Plattform – eine starke Kombination aus Digitalisierung und Standardisierung.

An welchen Netzwerkveranstaltungen nehmen Sie teil – was vermissen Sie bei DIN?
Bei DIN engagiere ich mich in der Normungsroadmap Circular Economy. Grundsätzlich würde ich mir mehr Fokussierung und Beschleunigung bei der Normungsarbeit wünschen

Welchen Tipp geben Sie Unternehmen, die in der Normung aktiv werden wollen?
Man muss viel Sitzfleisch mitbringen (lacht). Ich empfehle, sich DIN über ein konkretes Problem zu nähern und zu schauen, welche Möglichkeiten es gibt, dieses Problem einer Normungslösung zuzuführen bzw. wo die Normung helfen kann. DIN bietet über die DIN-Connect Wettbewerbe gerade KMUs und Start-ups finanzielle und personelle Unterstützung, um den Weg in die Normung zu finden. Denn wie heißt es so schön in der Normung: Wer die Standards setzt, hat den Markt.

Welche Zukunftsthemen kommen auf Ihre Branche zu? Wie können Normen dabei helfen?
Recycling, Digitalisierung, Nachhaltigkeit liegen heute schon in der Verantwortung jedes Unternehmens. Daran möchte ich erinnern und sehe cirplus, meine digitale Plattform für Kunststoffrezyklate, als Antwort darauf und als Botschaft an die linearen Industrien: Überwinden wir die Systemzwänge in der Wirtschaft, lassen wir die alte Logik hinter uns und bauen wir die Wirtschaft im Rahmen unserer planetaren Grenzen um. Wir sehen uns bei cirplus als „Activist Entrepreneurs“ und gehen mit unserer Software sozusagen jeden Tag auf die „digitale Straße“, um für eine bessere Zukunft zu demonstrieren und zu arbeiten. Normung kann andere dazu inspirieren, innovative Projekte voranzutreiben und für Unternehmen Talente zu gewinnen, die dort voranschreiten.

Welche konkreten Ziele verfolgen Sie persönlich bzw. cirplus mit der Normungsarbeit bei DIN, CEN oder ISO?
Mittelfristig will ich die Plastikvermüllung des Planeten beenden. Heute, in der Frühphase meines Start-up Unternehmens habe ich bereits die Chance, meinen Standard bei CEN in eine europäische Norm zu überführen. Das treibt mich an.

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