Interview mit Tayfun Avdan von Juli 2021

Product Requirement Specialist bei IKEA

Als Spezialist für Produktanforderungen verantwortet Tayfun Avdan in der Entwicklungsabteilung bei IKEA die Normungsarbeit für bestimmte Produktarten und für den Bereich Circular Economy.
© IKEA

Wie lange sind Sie schon in der Normungsarbeit aktiv und warum?

Tayfun Avdan: Ich bin seit 2017 in verschiedenen Normungsgremien aktiv. In vielen Normungsgremien spielt IKEA eine maßgebliche Rolle. Die Arbeit der Entwicklungsabteilung bei IKEA hat großen Einfluss auf die Normungsarbeit für die verschiedenen Themenbereiche der Möbelwirtschaft, wie Sicherheit, Mechanik, Chemie, Elektronik, Textilien, etc. Die Entwicklungsingenieure bei IKEA sind als Experten und/oder Vorsitzende in verschiedenen Gremien auf nationaler und internationaler Ebene an der Erarbeitung neuer Normen und Standards und an der Überarbeitung bereits existierender Dokumente beteiligt. Als Spezialist für Produktanforderungen verantworte ich in der Entwicklungsabteilung bei IKEA die Normungsarbeit für bestimmte Produktarten und für den Bereich Circular Economy.

Wo stehen wir bei der Möbelindustrie im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zirkuläres Wirtschaften? Welche Ansätze gibt es bereits? Welche Herausforderungen sehen Sie?

Kreislaufwirtschaft ist ein komplexes Thema, dem in vielen Diskussionen in zunehmendem Maße Aufmerksamkeit gewidmet wird und das Fragen wie Umweltbelastung, wirtschaftliches Potenzial, nachhaltige Entwicklung, Innovation, Sicherheit und vieles mehr umfasst. Es ist hinsichtlich des Kreislaufsystems zu einem Wandel in der Betrachtungsweise gekommen. Wurde es bisher als rein ökonomisches Modell angesehen, sind jetzt in einem neuen Kontext eher ökologische Gesichtspunkte in den Fokus gerückt. Der Übergang von einem linearen zu einem zirkulären Ansatz hat zwar in vielen unterschiedlichen Bereichen begonnen. Was jedoch fehlt, ist ein systemisches Vorgehen. Faktoren wie die Wahl der Werkstoffe, die Herstellung, die Logistik, Produktentwicklung und -gestaltung müssen alle unter dem Gesichtspunkt der Circular Economy überdacht werden, um dieser die Entfaltung ihres vollen Potenzials zu ermöglichen. Auch werden sich die Einkaufs- und Verbrauchsgewohnheiten der Kunden ändern müssen, um so zu Schlüsselfaktoren beim Entstehen einer Nachfrage nach zirkulären Produkten zu werden. Wir müssen ein Circular-Economy-Netzwerk entwickeln, das die gesamte Wertschöpfungskette umfasst und deren Elemente ein komplettes Ökosystem bilden.

Die Möbelindustrie sieht sich einer Reihe von Herausforderungen gegenüber, ihr bieten sich aber auch viele Chancen. Es herrscht allgemein große Begeisterung, und IKEA unternimmt sehr konkrete Schritte, um mit seinen Produkten bis 2030 Teil der Circular Economy zu werden.

Im vergangenen Jahr hat die Europäische Kommission den neuen Circular Economy Aktionsplan (CEAP) mit dem Schwerpunkt Öko-Design, insbesondere bei Möbeln, veröffentlicht. Wird sich der CEAP auf die europäische Möbelindustrie auswirken?

Die Aufmerksamkeit der Regulierung richtet sich zunehmend auf die Möbelindustrie, so gehören Möbel zu den Prioritäten im Europäischen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft (CEAP). Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Bemühungen der Europäischen Kommission, ein modernes Regelwerk zur Unterstützung der Circular Economy zu schaffen. Wir bei IKEA möchten einen Diskussionsbeitrag leisten, aber auch zuhören und lernen und unsere Erfahrungen und Erkenntnisse mit anderen teilen. Wir sehen uns als Teil der Möbelindustrie und möchten die Bestrebungen für eine klimaneutrale und zirkuläre Wirtschaft unterstützen.

Der CEAP umfasst mehr als 30 Initiativen, wobei die „Sustainable Production Initiative“ (SPI) sich als Leitinitiative auf Designfragen konzentriert. Wir teilen den Ansatz, dass das Design ein wesentlicher Faktor ist – mit weitreichender, positiver und nachhaltiger Wirkung auf unsere Umwelt. Vor diesem Hintergrund benötigen wir ein konsistentes und einfach zu handhabendes regulatorisches Umfeld.

Auf welche Weise unterstützen Normen und Standards bei diesem Ziel und möglicherweise auch den CEAP?

Normen und Standards schaffen Rahmen, Orientierungshilfen und Werkzeuge und stellen Anforderungen an die Umsetzung von Aktivitäten aller beteiligten Organisationen, um einen möglichst großen Beitrag zur Circular Economy – oder anderen Themenfeldern – zu leisten. Die Festlegung einheitlicher Definitionen und gemeinsamer Methoden und Messverfahren durch Normen und Standards ist von entscheidender Bedeutung. Nur so können wir die Vergleichbarkeit von Produkten sicherstellen.

Die Festlegung von Mindestanforderungen, die von allen Akteuren in der Industrie einzuhalten sind, schafft fairere Wettbewerbsbedingungen für die weitere Entwicklung.

Stehen diese Maßnahmen in Verbindung mit neuen Geschäftsmodellen der Circular Economy?

Wir haben drei Schlüsselbereiche ermittelt und testen derzeit neue Geschäftsmodelle und Konzepte, um den Kunden unkomplizierte Lösungen anzubieten, wie sie die Lebensdauer ihrer IKEA-Produkte verlängern und neue Möglichkeiten des Erwerbs, der Instandhaltung und der Wiederverwendung nutzen können. Wir entwickeln zirkuläre Lösungen für Bestandskunden und Neukunden, die sich um die Pflege ihrer Produkte selbst kümmern möchten, für Kunden, die sich neue Produkte nicht leisten können und/oder möchten, und für solche, die Produkte weitergeben möchten.

Welche Rolle spielen internationale Normen und Standards bei diesen neuen Geschäftsmodellen?

Es gibt Normungsaktivitäten und Gesetzesvorhaben zur Circular Economy auf verschiedenen Ebenen. Ein Teil dieser Aktivitäten ist aus wichtigen Initiativen, wie dem Aktionsplan der EU CEAP, hervorgegangen und wird in zukünftige Geschäftsmodelle einfließen. Die Sustainable Product Policy Initiative ist hierfür ein eindrucksvolles Beispiel. Ziel dieser Initiative ist eine Überarbeitung der Ökodesign-Richtlinie sowie weitere gesetzgeberische Maßnahmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit, d.h. der Langlebigkeit, Wiederverwendbarkeit, Recycling- und Reparaturfähigkeit und der Energieeffizienz von Produkten.

Normung und Standardisierung auf zwei Ebenen tragen entscheidend zu den Entwicklungen bei. Normung und Standardisierung auf europäischer (CEN-CENELEC) und internationaler (ISO) Ebene sind von besonderer Bedeutung für die Festlegung harmonisierter Definitionen für unterschiedliche Kenngrößen der Circular Economy. Mit der Einrichtung einer neuen Arbeitsgruppe zum Thema Circular Economy und der Ermittlung des aktuellen Bedarfs an einschlägigen Normen und Standards möchte das Normungskomitee CEN/TC 207 „Möbel“ die Industrie in diesem Bereich unterstützen. Das ist wichtig, denn die meisten erfahrenen Möbelexperten und Branchenakteure arbeiten gemeinsam im CEN/TC 207 und bringen dort ihr technisches Wissen in die Normungsarbeit ein.

Bei der Normungsarbeit zum Thema Circular Economy auf internationaler Ebene im ISO/TC 323 werden Normen und Standards erarbeitet, die eher strategischen Charakter haben und sich mit Begriffen, Definitionen und der Beurteilung von Geschäftsmodellen für die Circular Economy beschäftigen. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Normung eine ergänzende Funktion hat und andere laufende Regulierungsaktivitäten nicht ersetzen kann. Um das Potenzial, dass die Circular Economy hat, voll nutzen zu können, bedarf es unkomplizierter regulatorischer Rahmenbedingungen.

IKEA als Trendsetter der Branche könnte herstellerspezifische Standards setzen, dennoch verlassen Sie sich auf einvernehmlich erarbeitete Branchenlösungen und unterstützen die Normungsarbeit auf europäischer und internationaler Ebene bei CEN und ISO. Welche Vorteile sehen Sie darin?

IKEA bedient global mehr als 50 verschiedene Märkte. Die Normungsarbeit eng zu begleiten ist essenziell und zeitaufwendig. Unser komplettes Angebot ist dafür entwickelt und getestet worden, die strengsten internationalen Standards einzuhalten – und oftmals zu übertreffen. Warum? Weil Standards von Experten als gemeinsame Lösung für wiederkehrende Probleme von Kunden, Staaten und Unternehmen dienen. Wir geben unseren Kunden das Versprechen, dass Lösungen von IKEA zu jeder Zeit sicher, gesund und von hoher Qualität sind. Und das ist ein Versprechen, das wir halten wollen.   

Zudem sind internationale Normen von zentraler Bedeutung für die Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Harmonisierte Normen, wie internationale Normen, sind grundsätzlich wichtig, um die Anforderungen von sowohl neuen als auch bestehenden Märkten zu erfüllen. Die IKEA-Experten sind in ca. 100 Normungsgremien tätig.  

Wir arbeiten stetig daran, unseren Kunden das komplette Angebot von IKEA zur Verfügung zu stellen – schnell und effizient. Zur gleichen Zeit müssen wir zu Beginn des Produktentwicklungszyklus sicherstellen, dass unsere Produkte die notwendigen Anforderungen aller Märkte weltweit erfüllt. Aus diesem Grund kümmern wir uns darum, den Veränderungen immer einen Schritt voraus zu sein. Je mehr Zeit wir haben, um auf bevorstehende Aktualisierungen oder Veränderungen von Standards zu reagieren, umso schneller können wir diese Anforderungen erfüllen und unseren Kunden bezahlbare Einrichtungslösungen anbieten.

Und nicht zuletzt bietet das gemeinsame Engagement mit anderen Branchengrößen und/oder Experten aus verschiedenen Ländern die ideale Gelegenheit, Kontakte zu anderen Interessengruppen der Möbelindustrie für den Informationsaustausch aufzubauen.

Können Sie konkrete Beispiele für Beiträge von IKEA zur Normungsarbeit auf dem Gebiet der Circular Economy nennen?

IKEA hat die Bildung einer Arbeitsgruppe zur Circular Economy im Rahmen des Normungskomitees CEN/TC 207 „Möbel” initiiert und leitet diese. Die neue Arbeitsgruppe wurde dann als Working Group WG10 eingesetzt und trägt den Titel „Anforderungen und Werkzeuge zur Circular Economy in der Möbelindustrie“. Ich habe die Ehre diese neue Arbeitsgruppe zu leiten, die sich im Rahmen des Scopes von CEN/TC 207 schwerpunktmäßig mit Fragen der Circular Economy bei Möbeln beschäftigen wird. Wir wollen uns mit Anforderungen und Werkzeugen zur Gestaltung von Möbeln im Sinne der Circular Economy befassen und Lebensdauerstrategien erörtern. So wird sich unser erstes Normvorhaben mit der Gestaltung von Mobiliar in Hinblick auf seine Demontage und den Zusammenbau befassen. Und es werden sicherlich noch Normvorhaben folgen. Ich lade daher weitere Möbelfachleute ein, die Arbeitsgruppe auf ihrer Reise in eine zirkuläre Möbelindustrie zu begleiten.

Weitere Informationen

  • Mitwirken. Normung und Standardisierung ist Teamwork. Engagieren Sie sich bei uns, um der Circular Economy mit Normen und Standards den Weg zu ebnen.