Presse

2024-11-12

Zirkuläres Bauen: Interview mit Dominik Campanella von Concular

„Die DIN SPEC 91484 hat sich als entscheidendes Instrument etabliert, um Rück- und Umbauprojekte in Deutschland und international nachhaltiger zu gestalten.”

Portrait von Dominik Campanella
© Concular

Im August 2023 ist die DIN SPEC 91484 „Verfahren zur Erfassung von Bauprodukten als Grundlage für Bewertungen des Anschlussnutzungspotentials vor Abbruch- und Renovierungsarbeiten“ veröffentlicht worden. Der Standard hilft dabei, Bauprodukte zu identifizieren, die sich ideal für eine erneute Verwendung eignen. So können Materialien in den Kreislauf zurückgeführt und wertvolle Ressourcen gespart werden. Das Unternehmen Concular setzt auf die Entwicklung zirkulärer Materialströme auf Gebäudeebene und hat an der Erarbeitung der DIN SPEC mitgewirkt. Im Interview berichtet Dominik Campanella, Mitgründer und Geschäftsführer von Concular, wie häufig der Standard bisher benutzt wurde, welchen Einfluss er auf die Politik hat und wie die Zukunft der Circular Economy in Europa aussehen könnte.  

Vor genau einem Jahr wurde die DIN SPEC 91484 veröffentlicht. Warum haben Sie den Standard damals initiiert? Wer hat mitgemacht? 

Die Baubranche ist der größte Umweltverschmutzer der Welt – sie verursacht rund 60 % des weltweiten Abfallaufkommens und etwa 40 % der CO₂-Emissionen. Man kann also sagen: Die Klimakrise wird auf der Baustelle entschieden. 

In Deutschland werden jährlich über 20.000 Gebäude abgerissen. Dabei gehen wertvolle Materialien verloren, die größtenteils deponiert, verbrannt oder minderwertig weiterverwendet werden – obwohl viele von ihnen problemlos wieder genutzt werden könnten. Heute landet jedoch nur etwa 1 % aller Materialien im gleichwertigen Kreislauf. Der Hauptgrund ist, dass beim Rück- oder Umbau oft nicht erfasst wird, welche Materialien vorhanden sind und welchen Wert sie haben. Ohne diese Transparenz bleibt das Wiederverwertungspotenzial weitgehend ungenutzt. Mit der DIN SPEC 91484 haben wir ein Verfahren entwickelt, das genau diese Lücke schließt: Es ermöglicht die systematische Prüfung und Bewertung der Materialien eines Gebäudes, um ihren Wiederverwendungswert zu erfassen. Dieses Verfahren basiert auf Erkenntnissen aus mehr als 450 Projekten, die wir zuvor durchgeführt haben. 

Was hat sich seitdem bei Ihnen getan? Wie hat sich die Veröffentlichung auf Concular ausgewirkt? Wie hilft Ihnen der Standard bei Ihrer Arbeit?  

Die DIN SPEC 91484 wurde im August 2023 veröffentlicht und hat sofort große Resonanz ausgelöst. Der Standard hat sich in kürzester Zeit national und international etabliert. Länder wie Frankreich, Dänemark und die Schweiz haben die DIN SPEC 91484 bereits übernommen, und auch in Deutschland wird sie in einer Vielzahl von öffentlichen und privaten Bauprojekten angewendet. 

Besonders bemerkenswert ist, dass die DIN SPEC 91484 in den Entwurf der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) der Bundesregierung aufgenommen wurde. Die Bauministerkonferenz berät derzeit über ihre flächendeckende Einführung, und der Standard dient inzwischen auch als Grundlage für das Construction and Demolition Waste Protocol der EU. Sogar das Bundeskanzleramt hat die DIN SPEC 91484 in seinem Papier der „Allianz für Transformation“ als wichtigen Baustein erwähnt. 

Die Akzeptanz des Standards ist besonders in der öffentlichen Hand hoch: Viele öffentliche Bestandshalter – darunter der Bund, Länder, Städte und Kommunen – nutzen ihn bereits. Auch private Bestandshalter sehen den großen Mehrwert, da die DIN SPEC 91484 nicht nur dabei hilft, CO₂-Emissionen zu reduzieren, sondern auch Entsorgungskosten senkt. Wiederverwendbare Materialien müssen nicht entsorgt, sondern können verkauft werden. 

Der Standard hat sich damit als entscheidendes Instrument etabliert, um Rück- und Umbauprojekte in Deutschland und international nachhaltiger zu gestalten. Aktuell wird er sogar in ein internationales Normungsgremium eingebracht, um seine Anwendung auf weitere EU-Länder auszuweiten. 

Welche Resonanz beobachten Sie in der Baubranche? Wann und wie stark wird die DIN SPEC eingesetzt? 

Die Resonanz aus der Baubranche ist extrem positiv. Über 30 führende Unternehmen der Bau- und Immobilienbranche, darunter große Namen wie STRABAG, Hagedorn und Goldbeck, haben an der Entwicklung der DIN SPEC 91484 mitgewirkt. Obwohl der Standard erst seit wenigen Monaten veröffentlicht ist, wird er bereits bei einer Vielzahl von Rück- und Umbauvorhaben eingesetzt. Besonders die öffentliche Hand spielt eine Vorreiterrolle, doch auch viele private Bauherren haben begonnen, den Standard anzuwenden. 

Der große Vorteil der DIN SPEC 91484 liegt darin, dass sie endlich eine rechtlich verbindliche Grundlage für die Prüfung und Wiederverwendung von Baumaterialien schafft. Dies ist besonders relevant, da das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz nach §6 genau eine solche Prüfung fordert. Mit der Einführung der DIN SPEC 91484 ist es nun möglich, Rück- und Umbauprojekte rechtskonform und im Sinne der Kreislaufwirtschaft durchzuführen. 

Sehen Sie Hürden oder Vorbehalte bei der Nutzung des Standards? 

Es gibt gelegentlich Vorbehalte, dass die Anwendung der DIN SPEC 91484 zu höheren Kosten führen könnte. Das ist jedoch ein Missverständnis. Der Standard ist in zwei Phasen unterteilt: In der ersten Phase wird eine Grobprüfung durchgeführt, bei der Materialien mit einem hohen Potenzial zur Wiederverwendung identifiziert werden. Diese Prüfung ist schnell und kostengünstig, oft nur ein paar Hundert Euro – abhängig von der Größe und dem Typ des Gebäudes. 

Im Vergleich zu den Gesamtkosten eines Bauprojekts sind diese Kosten marginal. Vielmehr ermöglicht der Standard, erhebliche Einsparungen zu erzielen. Durch die Wiederverwendung von Baumaterialien können bis zu 30 % der Rückbaukosten eingespart werden. 

Das bedeutet, dass der Standard nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll ist. Die anfänglichen Bedenken bezüglich der Kosten sollten also eher als langfristige Einsparmöglichkeiten gesehen werden. 

Wie hat sich die Akzeptanz von zirkulären Bauprozessen und Kreislaufwirtschaft in der Branche entwickelt? 

Die Akzeptanz von zirkulären Bauprozessen ist in den letzten Jahren spürbar gewachsen. Als wir vor etwa vier Jahren gestartet sind, war die Bereitschaft, sich mit der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen auseinanderzusetzen, sehr gering. Heute sehen wir eine deutlich höhere Akzeptanz, und das hat mehrere Gründe: 

  • Normen wie die DIN EN 1090 erleichtern durch klare Regelungen die Wiederverwendung von Materialien, wie etwa Stahlträgern. 

  • Die steigenden Kosten für Baumaterialien machen die Wiederverwendung von Ressourcen wirtschaftlich sehr attraktiv. 

  • Durch standardisierte Prüfungen nach der DIN SPEC 91484 können die Materialien qualitativ bewertet werden, was die Sicherheit und das Vertrauen in wiederverwendete Materialien erhöht. 

Es gibt auch viele gute Praxisbeispiele, die wir geschaffen haben: In den letzten Jahren haben wir über 10 Millionen Materialien erfolgreich in den Kreislauf zurückgeführt, von Ziegelsteinen über Brandschutztüren bis hin zu Feuerschutztreppen. Diese Projekte zeigen, dass die Wiederverwendung von Baumaterialien nicht nur machbar, sondern auch sinnvoll ist. 

Die größten Hindernisse liegen heute weniger in den rechtlichen Rahmenbedingungen als vielmehr im Mindset der Branche. Aber durch erfolgreiche Projekte und den Nachweis, dass zirkuläres Bauen sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich sinnvoll ist, bauen wir diese Vorbehalte Stück für Stück ab. 

Wie geht es nun weiter mit der DIN SPEC 91484? Ist die Überführung in eine Norm angedacht? 

Ja, die Überführung der DIN SPEC 91484 in eine internationale Norm ist bereits in vollem Gange. Aktuell arbeiten wir daran, den Standard in internationale Normungsgremien, wie die ISO/TC 150/SC 1, einzubringen. Dadurch soll der Standard auf EU-Ebene und darüber hinaus weiter etabliert werden. 

Inzwischen hat Concular erneut ein Projekt zum Thema Kreislaufwirtschaft initiiert: die DIN SPEC 91525. Was hat es damit auf sich? Wann geht es hier los? Wer ist dabei? 

Ja, die Arbeit an der DIN SPEC 91525 hat bereits begonnen und ist im September mit einer starken Beteiligung von 59 Mitgliedern aus unterschiedlichen Bereichen der Bau- und Immobilienbranche gestartet. Diese Norm wird sich auf Rückbaukonzepte für Bestandsgebäude konzentrieren. Es ist der logische nächste Schritt nach der DIN SPEC 91484: Sobald Materialien für die Wiederverwendung identifiziert wurden, müssen sie auch gezielt und effizient rückgebaut werden, um ihre Wiederverwertung sicherzustellen. 

Die DIN SPEC 91525 wird diesen Rückbauprozess standardisieren und somit sicherstellen, dass die Materialien, die nach der DIN SPEC 91484 erfasst wurden, nicht verloren gehen, sondern auf hochwertige Weise wieder in den Kreislauf gebracht werden. Bisher gibt es nur einzelne Initiativen auf lokaler Ebene, aber mit dieser Norm schaffen wir einen einheitlichen Rahmen für Rückbauprojekte, der überall anwendbar ist. 

Wie sehen Sie die Zukunft der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen in Deutschland und Europa? Welchen Einfluss könnte die DIN SPEC 91484 oder die geplante DIN SPEC 91525 auf die Weiterentwicklung dieses Marktes haben? 

Die Kreislaufwirtschaft ist entscheidend, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen und den Ressourcenverbrauch drastisch zu senken. Länder wie Dänemark und Frankreich haben bereits Standards wie die DIN SPEC 91484 verpflichtend eingeführt und setzen CO₂-Grenzwerte im Bauwesen um. Diese Länder zeigen, dass es möglich ist, den Wandel aktiv zu gestalten. Deutschland hat hier noch Nachholbedarf, aber wir stehen an einem Wendepunkt. Die DIN SPEC 91484 und die geplante DIN SPEC 91525 bieten uns die Chance, nicht nur den CO₂-Ausstoß und die Umweltbelastung drastisch zu reduzieren, sondern auch wirtschaftliche Vorteile zu schaffen. Denn die Kreislaufwirtschaft ist nicht nur eine Notwendigkeit, um unsere Klimaziele zu erreichen, sie ist noch viel mehr: Ein Wettbewerbsvorteil! 

Die starke Beteiligung an den Standards – mehr als 59 Teilnehmer bei der DIN SPEC 91525 – und das Interesse der politischen Entscheidungsträger zeigen, dass wir jetzt die Chance haben, Deutschland und Europa zu globalen Vorreitern der Circular Economy zu machen. Wir gestalten diesen Wandel aktiv mit, um nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch zu profitieren. 

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