Presse

2024-07-25

Das Recht auf Reparatur: Interview zur Abfallvermeidung im Rahmen der Circular Economy

„Produkte möglichst lange nutzen“

Portrait von Alexandra Engelt
Alexandra Engelt
© DIN

Am 30. Mai 2024 haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union das Recht auf Reparatur beschlossen. Diese neue Richtlinie soll künftig dafür sorgen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher defekte Elektrogeräte auch nach Ablauf der Garantie schneller und einfacher reparieren lassen können, als dies bisher häufig der Fall war. So sollen Abfälle reduziert, der Reparatursektor gestärkt und Hersteller sowie Verkäufer zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen angeregt werden. Wie das Recht auf Reparatur mit Hilfe von Normen in der Praxis umgesetzt werden kann, erläutert Alexandra Engelt, Leiterin Strategische Entwicklung Circular Economy bei DIN, im Interview.

Frau Engelt, das Recht auf eine Reparatur kaputter Elektrogeräte leuchtet schnell ein; die Verbindung zu Normen vielleicht nicht ganz so schnell? 

Normen sorgen in erster Linie dafür, dass Produkte und Dienstleistungen sicher und vertrauenswürdig sind. In Normen werden zum Beispiel Qualitätskriterien definiert und überprüfbar formuliert. Das schafft Akzeptanz, sowohl bei Herstellenden als auch bei Verbraucherinnen und Verbrauchern. 

Auch bei der Reparatur geht es um diese Qualität, aber auch um zahlreiche weitere Aspekte. Für eine Reparierbarkeit sind die Produktion und Distribution von neuen oder gebrauchten Ersatzteilen sowie die Bereitstellung von Informationen zu deren Verfügbarkeit (auch auf digitalen Plattformen) notwendig. Hier kommen unterschiedliche Akteure der gesamten Wertschöpfungskette zusammen und brauchen eine einheitliche Kommunikation. Und es entstehen vollkommen neue Geschäftsmodelle. Also braucht es eine einheitliche Sprache, digitale Schnittstellen und eben auch Qualitätskriterien. In Normen kann auch festgelegt werden, wie ein Produkt gekennzeichnet werden muss, damit es bestmöglich repariert werden kann. Auch die Frage, welche Arten von Reparaturen sinnvoll sind, kann normativ beschrieben werden. Ebenfalls kann durch produktgruppenspezifische Normen festgelegt werden, wie ein Produkt gestaltet werden sollte, damit die Reparaturfähigkeit bestmöglich gegeben ist (Design 4 Repair).

Wie können Normen dazu beitragen, das Recht auf Reparatur umzusetzen?

Normung wird oft genutzt, um gesetzliche Vorgaben zu konkretisieren. Dazu kommen verschiedenste Interessensgruppen zusammen und diskutieren Herausforderungen und finden Lösungswege, die dann für alle Akteure der Wertschöpfungskette passend und realisierbar sind. Normen sind häufig auch Bestandteil von Verträgen, um ein gleiches Verständnis von Qualität und Sicherheit zwischen den Vertragsparteien zu schaffen. 

Herstellung und Handel beim Thema Reparatur? 

Beginnen wir beim Produktdesign: Wie muss ein Produkt gestaltet werden, dass es überhaupt durch den Endkonsumierenden oder einen professionellen Reparaturdienst repariert werden kann? Und wo liegen die Unterschiede? Das sind Fragestellungen, die in Normen systematisiert werden können. Ein Start hierzu ist beispielsweise DIN EN 45560 „Methode zur Gestaltung von zirkulären Produkten, in der auch die Reparierbarkeit thematisiert wird. 

Aber auch technische Grundlagen und Kennzeichnungen stellen Herausforderungen dar. Wie können einfache Reparaturanleitungen zur Verfügung gestellt werden? Welche Bauteile sollten vorgehalten werden, welche müssen tendenziell zuerst repariert werden oder sind sowieso Verschleißteile? Wie kann das über das gesamte Produktportfolio systematisiert werden? Viele Aufgaben, die es noch zu bewältigen gilt und wo Normen auch produktgruppenübergreifend unterstützen können.

Ein weiteres Beispiel: Einschränkungen bei der Zerlegbarkeit von Produkten verhindern teils einfache Reparaturen und verringern zusätzlich die Anzahl an potenziellen Recyclingprozessen am Ende des Produktlebenszyklus. Zur neutralen Bewertung und als Werkzeug zur Auswahl von Füge- und Befestigungstechniken während der Produktdesignphase wären Festlegungen zielführend, die anhand von häufig verwendeten Füge- und Befestigungstechniken, je nach Anwendung und Produktart, im Sinne der Ziele einer Circular Economy („Reuse“, „Repair“, „Recycling“) differenziert. Unter Anwendung dieser normativen Festlegungen könnte anschließend die Steigerung der Produktzirkularität durch die Nutzung von Klebstoffen in jeweiligen Anwendungsfällen beurteilt werden. Sollte für eine Reparatur oder auch für einen Recyclingprozess eine Demontage der Produkte nötig sein, bieten sich viele Möglichkeiten zum Lösen der Fügeverbindungen. Beispielsweise stellt die Vornorm DIN/TS 54405 „Konstruktionsklebstoffe - Leitlinie zum Trennen und Rückgewinnen von Klebstoffen und Fügeteilen aus geklebten Verbindungen den Anwendenden, und vor allem den Designenden von Produkten, eine Leitlinie zur Verfügung.

Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Richtlinie auf Umwelt und Klimaschutz ein?

Als sehr groß. Ganz einfach, weil die Reparatur eines Gegenstandes oft bedeutet, dass ein zweiter Gegenstand gar nicht oder erst sehr viel später produziert werden muss. Das spart Rohstoffe, Energie, Transportwege, Verpackungen und die Entsorgung. Es lohnt sich also sehr, die Grundlagen dafür zu legen, dass Produkte möglichst lange genutzt werden können. 

Welche Normen und Normungsaktivitäten werden konkret folgen? Und wer erstellt sie?

Neben E DIN EN 45560 „Methode zur Gestaltung von zirkulären Produkten“, die sich aktuell im finalen Entwurf befindet und voraussichtlich Ende diesen Jahres veröffentlicht wird, wurde in einem neuen Arbeitskreis der DIN-Koordinierungsstelle Umweltschutz (KU) beispielsweise gerade die Erarbeitung einer technischen Spezifikation zum Thema „Verschleißteile“ begonnen. Diese soll unter anderem den Begriff „Verschleißteil“ in Bezug auf seine Rolle in Produktsystemen definieren, um geplanter Obsoleszenz entgegenzuwirken. Hierfür werden noch Expertinnen und Experten gesucht. Eine kontinuierliche Mitarbeit ist möglich, aber nicht zwingend notwendig, auch eine kürzere Teilnahme in Bezug auf bestimmte thematische Schwerpunkte ist eine Option. Interessierte können hierzu gerne auf uns zukommen (Siehe Kontaktdaten unten). Die Mitarbeit in der KU ist kostenfrei möglich. Zusätzlich wird demnächst der „Leitfaden für Wiederverwendung“ (DIN/TS 35025) veröffentlicht. Dieser beschreibt den Arbeitsablauf und die regulatorischen Hintergründe für eine Unternehmen, welches sich mit der Vorbereitung zur Wiederverwendung und Wiederverwendung von Gegenständen beschäftigt.

DIN-Normen werden von den Akteuren des jeweiligen Themas erarbeitet, d.h. von Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlicher Hand und Zivilgesellschaft. Diese Arbeitsgruppe erstellt im Konsensverfahren einen Normentwurf, der zur öffentlichen Stellungnahme veröffentlicht wird, um Feedback einzuholen. Nach Überarbeitung des Entwurfs auf Basis der Rückmeldungen erfolgt eine Abstimmung unter den Expertinnen und Experten. Stimmen alle zu, wird die Norm veröffentlicht. 

Normung ist Gemeinschaftsaufgabe! Und nur gemeinsam können wir die Märkte der Zukunft mitzugestalten und die digitale und grüne Transformation umsetzen. 

Zur Person

Alexandra Engelt ist Leiterin der Strategischen Entwicklung Circular Economy. Sie ist bei DIN e. V. seit vielen Jahren in verschiedenen Bereichen der strategischen Unternehmensausrichtung tätig. Sie studierte Verpackungstechnik sowie Nachhaltigkeits- und Qualitätsmanagement.
 

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