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Der Grüne Deal kann nur mit Normung gelingen
Rund 850 Teilnehmer aus ganz Europa waren dem Ruf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefolgt, das am 16. September 2020 im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu einem virtuellen Workshop mit dem Thema „Europäische Normen und Standards stärken – Impulse für den Grünen Deal“ eingeladen hatte.
In welchen Bereichen muss die Standardisierung Lücken schließen, um einen Beitrag zur grünen Transformation der EU-Wirtschaft zu leisten? Welchen Herausforderungen steht dabei das System der europäischen harmonisierten Normen gegenüber? Und was für Lösungsansätze gibt es, damit dieses Erfolgsmodell weiterhin mit verlässlichen, schnellen und praxistauglichen Normen überzeugen kann? Dies und mehr diskutierten hochrangige Vertreter der EU Kommission, des EU Parlaments, der Mitgliedstaaten und der Wirtschaft mit Vertretern der Fachöffentlichkeit.
In ihrer Begrüßungsrede forderte die Parlamentarische Staatssekretärin im BMWi Elisabeth Winkelmeier-Becker ein starkes und unbürokratischeres europäisches Normungssystem für einen erfolgreichen Grünen Deal. „Auf europäischer Ebene müssen Verfahren entschlackt und schneller werden.“, so die Staatssekretärin. „Die deutsche EU-Präsidentschaft möchte hier konstruktiv mit allen Beteiligten Vorschläge diskutieren, damit unsere gemeinsamen Ziele, wie der Grüne Deal, erfolgreich umgesetzt werden und Normen und Standards einen wirksamen Beitrag zu sauberem Wachstum und nachhaltiger Entwicklung leisten können.“ Die Staatssekretärin begrüßte darüber hinaus die Eigeninitiative der Normungsorganisationen im Rahmen der COVID-19 Pandemie, Normen und Standards kostenfrei zur Verfügung zu stellen.
In seiner Videobotschaft betonte Thierry Breton, Kommissar für den Binnenmarkt der Europäischen Kommission, dass Standards eines der grundlegenden Elemente der sogenannten „twin transition“, also dem grünen und digitalen Wandel der Wirtschaft im Rahmen des Grünen Deals sein werden. Deshalb bereite er eine Normungsstrategie vor, mit dem Ziel, den politischen Fokus auf die Normung zu verstärken und sicherzustellen, dass Europa eine führende Position darin einnehmen kann. „Die europäischen Akteure müssen wachsam sein und sich aktiv an der Normung beteiligen, sei es auf europäischer, internationaler oder globaler Ebene.“, erklärte Breton. Er rief die Normungsorganisationen eindringlich auf, eng mit der EU-Kommission zusammenzuarbeiten, um das europäische Normungssystem wiederzubeleben, damit die europäische Industrie eine noch stärkere und erfolgreichere Führungsrolle übernimmt und sich an der Entwicklung globaler Normen und am Ausbau ihrer technologischen Führungsrolle beteiligt.
Aktuelle Herausforderungen für die europäische Standardisierung thematisierte das erste Panel des Tages unter Moderation von Wolfgang Niedziella, Geschäftsführer der VDE-Gruppe mit Joaquim Nunes de Almeida, Stellvertretender Generaldirektor für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMUs (GD GROW), Europäische Kommission, Dr. Andreas Schwab, Mitglied des Europäischen Parlaments, DDr. Elisabeth Stampfl-Blaha, Geschäftsführende Direktorin Austrian Standards, Rodriguez, Präsidentin Europe’s Technology Industries Orgalim sowie Markus J. Beyrer, Generaldirektor BusinessEurope. Darin wurde der Wunsch nach einer neuen Industriestrategie in Europa deutlich und ein klares Angebot der Industrie an die Politik und die Kommission für einen Dialog gemacht. Normung sei in Europa eine wichtige Komponente für Wirtschaft, Politik und Verbraucher und auch eine starke Säule des europäischen Binnenmarktes. Im Rahmen einer ‚Neuen Partnerschaft‘ aller Beteiligten solle die über 60-Jährige Erfolgsgeschichte der Normung in Europa auch erfolgreich weiter gezeichnet werden. Alle Beteiligten müssten die Funktionsweise des Systems weiter verbessern, um die Ziele der technologischen Souveränität Europas, des zweifachen ökologischen und digitalen Wandels und des wirtschaftlichen Wiederaufschwungs zügig und angemessen zu unterstützen. Der Schlüssel für einen gemeinsamen Erfolg sei der gemeinsame Dialog und das gegenseitige Vertrauen aller Beteiligten. Es solle ein geeignetes Dialogformat mit Vertretern aller beteiligten Kreise initiiert werden, um auf höchster Ebene gemeinsam Lösungen zu finden und den Normungsprozess zu beschleunigen.
Einen Beitrag aus der Unternehmenspraxis steuerte Dr. Wolfgang Leetz, Director Technical Regulations and Standards, Siemens HealthcareGmbH, bei. Das New Legislative Framework (NLF) sei unverzichtbar und prinzipiell ein guter Weg der Arbeitsteilung zwischen Gesetzen und Normen. Er sehe aktuell jedoch auch Optimierungsbedarf. So müsse der Normungsauftrag der EU-Kommission an CEN und CENELEC vereinfacht werden. Für die Anerkennung von Normen als harmonisierte Normen brauche es die Einführung pragmatischer Kriterien. „Ich bitte die EU-Kommission, in den nun hoffentlich folgenden Gesprächsrunden mehr auf die Kommentare der Praktiker und Betroffenen zu hören.“, appellierte Dr. Leetz.
Wie Normen und Standards zum Erfolg des Grünen Deals beitragen können, diskutierten Clara de la Torre, Stellvertretende Generaldirektorin für Klimaschutz (GD CLIMA) der Europäischen Kommission, Henrike Hahn, Mitglied des Europäischen Parlaments, Monique Goyens, Generaldirektorin des Europäischen Verbraucherverbands BEUC, Christoph Wendker, Leiter Technisches Produktmanagement und Umweltreferat, Miele & Cie. KG sowie Dr. Marcus Wirtz, Geschäftsführender Gesellschafter JÖST GmbH + Co. KG, unter Moderation von Christoph Winterhalter, Vorstandsvorsitzender DIN e.V. Als Fazit schlug Winterhalter vor: „Zur strategischen Zusammenarbeit zwischen Politik und Normung für die Umsetzung des Circular Economy Action Plans sollte eine High-Level Group gegründet werden, die einen Europäischen Masterplan für Circular Economy erarbeitet - vergleichbar mit der Normungsroadmap Künstliche Intelligenz von BMWi und DIN. Im Rahmen dieses Multi-Stakeholder-Ansatzes solle der Normungsbedarf identifiziert werden, um parallel zur politischen Willensbildung die technischen Rahmenbedingungen zu schaffen.“ Darüber sei das Ergebnis der Paneldiskussion der klare Wunsch nach einem Bottom-Up-Ansatz: Die Kommission solle klare Ziele setzen, aber die verfahrenstechnischen Details sollten den Experten in der Normung überlassen bleiben. Je schneller die Normung arbeite, desto eher könnten die Produkte exportiert werden und der europäischen Wirtschaft international einen Vorsprung geben. Klares Fazit: „Der Grüne Deal kann nur mit Normung gelingen!“
Die Flexibilität der Standardisierungsorganisation in der Pandemiebekämpfung lobte Kerstin Jorna, Generaldirektorin für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMUs (GD GROW) der Europäischen Kommission. Sie unterstützte die Ideen aus den Panels nach einer stärkeren Kooperation zwischen Politik und Normung sowie der Erarbeitung eines Masterplans für den Grünen Deal. Denn Normen und Standards könnten die grüne und digitale Transformation entscheidend vorantreiben. Verbraucher müssten dabei Teil der grünen Bewegung werden, woran Vertrauen schaffende Standards einen wesentlichen Anteil haben könnten. Denn, so schloss Jorna: „Standards sind sexy!“
Als Fazit des Workshops zog Dr. Thomas Zielke, BMWi-Referatsleiter Technologietransfer durch Normung und Patente: „Wie Kommissar Breton zu Beginn sagte, kommt es darauf an, ein gut funktionierendes Normungssystem zu haben, das helfen soll, derzeitige große europäische Herausforderungen zu meistern – nachhaltige Erholung und Stärkung einer souveränen europäischen Wirtschaft oder auch die Bewältigung der sogenannten „twin transitions“, Grüner Deal und Digitalisierung.“ Experten aus der Wirtschaft würden in der Normung weiterhin gebraucht. „Dort, wo die Wertschöpfung stattfindet, will man nicht warten, bis aufwändige und unflexible gesetzliche Regelungen kommen, sondern technische Regeln lieber im Konsens selbst erarbeiten.“ Dr. Zielke wies darüber hinaus auf das vom BMWi in Auftrag gegebene Rechtsgutachten zum europäischen System der harmonisierten Normen hin. Haupterkenntnisse des Gutachtens seien u. a., dass harmonisierte Normen kein Unionsrecht bzw. keine Rechtsakte der Union seien. Die EU-Kommission dürfe keinen inhaltlichen Einfluss auf harmonisierte Normen nehmen, sondern nur Prozesse und Formalia prüfen. Die EU-Kommission hafte auch nicht für etwaige Fehler von harmonisierten Normen.
Die Ergebnisse des virtuellen Workshops werden vom BMWi im Nachgang aufbereitet und sollen als Unterstützung für die weitere Zusammenarbeit im Normungsprozess dienen. Unter dem #standards4greendeal besteht in den sozialen Netzwerken weiterhin die Gelegenheit zur Diskussion.